RECOMMENDED: ALT-WIEN DIE STADT, DIE NIEMALS WAR / 2004.11.25. - 2005.03.28.



Künstlerhaus
1010 Wien, Karlsplatz 5

wienmuseum.at
 

Weltmetropole des Rückblicks

Der Mythos "Alt-Wien" besagt, dass die Stadt ihr besonderes Flair aus der Vergangenheit bezieht. Wien etablierte sich als eine Art Weltmetropole des Rückblicks – und fährt nicht schlecht mit diesem Image. Die Ausstellung zeichnet unter dem Aspekt "Alt gegen Neu" 200 Jahre Stadtgeschichte nach, berichtet von Konflikten zwischen "Demolierern" und "Bewahrern" und untersucht die Stereotypen der ewigen Wien-Nostalgie.

Der Untertitel der Ausstellung weist auf ein Paradox hin, das nicht aus der Welt zu schaffen ist, egal wie stark die Sehnsucht nach der "guten, alten Zeit" auch sein mag. Jede imaginierte Vergangenheit, also auch das "verklungene" Wien voller Gemüt und "heiterer Zufriedenheit", kann nur eine nachträgliche Projektion sein, die sich aus den jeweils gegenwärtigen Gefühls- und Interesselagen speist.

Alt-Wien gegen Neu-Wien 

Der Begriff "Alt-Wien" hatte schon im Vormärz einen wehmütigen Klang – wohl deshalb, weil die angeblich idyllische Biedermeier-Epoche in Wirklichkeit eine Zeit großer baulicher Dynamik war. Alte Gebäude und Ensembles wurden, etwa um Verkehrs- und Wohnraum in der beengten Stadt zu gewinnen, ohne weitere Umstände abgerissen. Nach der Beseitigung der Stadtmauern um 1860 konnte Wien endlich expandieren. Entlang der Ringstraße entstand eine "Neu-Wien" genannte Regelstadt, zugleich kam es auch in der Innenstadt zu großflächigen Demolierungen. Am Graben oder in der Kärntnerstraße wurden fast alle alten Gebäude durch neue ersetzt. Was Planer und Investoren "Regulierung" und "Verschönerung" nannten, war für Andere Grund für Trauerreden auf das unwiederbringlich zerstörte Wien und für Polemik gegen "Zerschönerer" und "Barbaren".

Ein gefühlsbeladener Kampf-Begriff

Alt-Wien wurde zu einem gefühlsbeladenen Kampfbegriff. Er stand gegen Beschleunigung und moderne Kälte. Wien sollte nicht wie Berlin werden, das man das "europäische Chicago" nannte. Im späten 19. Jahrhundert verfestigte sich die populäre Alt-Wiener Typologie und wurde seither in immer neuen Varianten weitergetragen – von raunzenden Feuilletonisten und Vedutenmalern, die selbst Slums wie den Ratzenstadl "malerisch" fanden, von Schubert-Kult und Operette, von Wien-Film und Tourismuswerbung. Auch die Wiener Moderne stand in enger Korrespondenz mit Biedermeier und Rokoko, nicht nur beim "Rosenkavalier".

Die Logik des Neuen ist nicht immer eindeutig: "Alt-Wien" ist eine Art Vexierbild. Oft genug schlug Fortschrittlichkeit in neues Engagement für gefährdete Bausubstanz um – und umgekehrt.

Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die Proteste gegen die Demolierung von Otto Wagners Stadtbahnstationen oder die Rettung des Spittelberg-Viertels. Werden Nostalgie und Bewahrungsdenken dominant, melden sich verstärkt jene zu Wort, die befürchten, die Stadt könnte unter einer Käseglocke zum Stillstand kommen. Jüngste Beispiele: Die Kampagne gegen den Turm im Museumsquartier oder die Diskussion um Wiens Status als "Weltkulturerbe". 

Die Ausstellung "Alt-Wien" präsentiert Kunstwerke, Architekturdokumente, Raritäten, Medien-Images und "Reliquien", in denen sich verschwundene Zustände der Stadt spiegeln. Sie ist aber auch eine Einladung, über die Zukunft Wiens nachzudenken.

KuratorInnen:
Wolfgang Kos
Christian Rapp
Renata Kassal-Mikula
Regina Karner u.a.